Sprachbewusstsein

Einleitung

Wozu betreibt man Sprachkritik? Geht es nicht nur darum verstanden zu werden? Wie oft hört man nach einem Hinweis auf einen Fehler im gesprochenem Wort nur als Antwort: „Ja, aber du hast mich doch verstanden, oder?“ In der Kommunikation ist verstehen das höchste Ziel. Jemand sagte mir mal sinngemäß: „Es ist überhaupt ein Wunder, dass wir uns mit Sprache verständigen können und das, das so reibungsarm abläuft.“ Also ist Sprachkritik nur eine Modeerscheinung? Elitäres Gehabe um zu zeigen, dass jemand nicht zu eben jener Elite gehört? Einspruch euer Ehren. Ich möchte mit dieser Kurzschrift dafür plädieren, dass Sprachbewusstsein als Teil der Eudämonie zu verstehen ist. Sprachbewusstsein als Teil des Bewusstseins, das wiederum Teil des guten Lebens ist. Nachgehend werde ich ausgesuchte Bestandteile im Lichte des Sprachbewusstseins besprechen.

Klarheit und Verständlichkeit

Die Begriffe Klarheit und Verständlichkeit sollten vorweg erläutert werden. Klarheit bedeutet hier, dass etwas auf den Punkt gebracht wird. Der Gedanke wird so genau wie möglich umrissen. Gute Beispiele hierfür sind beliebte Zitate wie: „Die allgemeine Quelle jedes Vergnügens ist Zweckmäßigkeit. (Schiller)“ S. 19, die wegen ihrer Prägnanz beliebte Zitationsobjekte sind. Verständlichkeit hingegen kann der Klarheit entgegenstehen. Wie zu erwarten kommt es nicht auf Kürze an, sondern auf die Verständigung. Jeder Leser soll erfassen können, worum es in einem Satz oder Text geht, ohne Zuhilfenahme von Wörterbüchern. Ab wann ist ein Satz unverständlich? Engel führt dazu ein unstreitbares Beispiel an: „Erweitert erscheint die Suggestibilität der Anfänge der zweiten subjektivistischen Periode: auf kirchlichem Gebiete der Klerialism, auf staatlichem und nationalem der Chauvinism, zu geschweigen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Egoismen. (Karl Lamprecht)“ [Zitat: S. 202] Hier scheint klar eine Linie überschritten, die das Verständnis erschwert und selbst einem Leser, der sich im Klaren über jedes einzelne Wort ist, gedanklich nicht sofort durchblicken lässt. Es scheint selbst für einen Wissenschaftler ein Minimum an Verständlichkeit vorausgesetzt zu sein, wenn er nicht wichtigtuerisch tun, vor allem aber seinem Publikum seinen Gedanken rüberbringen, will.

Purismus als Teil der Verständlichkeit

Einen Schritt weiter geht hier der Sprachpurist. Dieser ist sich im Klaren darüber, dass Verständlichkeit wichtig ist und greift nur auf Worte der eigenen Sprache zurück. Hierdurch umgeht er das Problem der Unverständlichkeit von vornherein. Doch hier steckt auch gleichzeitig die Krux. Entgegen der Annahme von Engel, dass Verständlichkeit und Klarheit in jedem Falle vereinbar sind, bin ich anderer Meinung. Es handelt sich hier um eine Unschärferelation. Umso verständlicher ich sein will, umso mehr Worte werde ich gebrauchen müssen (tendenziell). Umso klarer ich sein will, umso mehr Fremdwörter werde ich gebrauchen (Stichwort Prägnanz). Die Konsequenz daraus soll eine Analogie verdeutlichen: Jeder jugendliche Mensch kann von A nach B laufen. Jedoch nicht jeder kann von A nach B radeln, weil man dazu Fahrrad fahren können muss. Um alle auf ein Niveau zu hieven kann man nun entweder Fahrräder verbieten oder jedem das Radeln beibringen. Laut Engel würden wir alle auf das Fahrrad verzichten. Ich möchte hierbei auf eine eigene Unterscheidung hinaus, die das Problem entschärft. Fachwörter sind keine Fremdwörter. Fachwörter sind wie Werkzeuge notwendig um zielstrebig sein Ziel zu verfolgen und Fremdwörter sind Schmuck um sich abzuheben. Fachwörter sind prägnant und somit unverzichtbar im wissenschaftlichen Kontext. Hierbei sei ungeachtet, dass diese Wörter eingedeutscht, in Reinform oder als Ableitung gebraucht werden. Die Wissenschaft schert sich nur um Wahrheit. Die Form ist dabei zweitrangig, aber nicht auszublenden. Klar könnte ich alles verständlich für jeden schreiben, aber das würde nur unnötig Ressourcen vergeuden. In erster Linie will ich mit anderen Wissenschaftlern kommunizieren. Dabei ist die Hörerschaft des Laien nicht wichtig und somit die Sprache auch nicht auf diesen angepasst. Engel hat Recht, dass wenn ich möglichst viele Menschen erreichen will, ich ein Tor bin, wenn ich auf Verständlichkeit pfeife. Jedoch ist dies, wie er selbst andeutet, abhängig von der Hörer-/Leserschaft. Des Weiteren gibt es Wörter, die ihre Arbeit so gut machen, dass sie aufgrund ihrer Zweckmäßigkeit importiert werden. Lust wurde bspw. ins Englische importiert, weil es akustisch sehr schön das Gefühl wiederspiegelt.

Wortschatz und Mehrung

Welche Motivation gibt es sonst noch Wörter aus anderen Sprachen in die hiesige zu tragen? Allen voran der Fall einer Wortlücke. Wenn es noch kein Wort für einen physischen oder abstrakten Gegenstand gibt, jedoch in einer anderen Sprache schon, dann ist es ein leichtes den Begriff von woanders her zu übernehmen und die Lücke zu schließen. Doch ist diese Vorgehensweise kurzsichtig und vor allem faul, wenn sie unbedacht angewandt wird. Engel führt hierzu an, dass selbst das Wort Gefühl im Deutschen erst aufkam, nachdem jemand eine Alternative geschaffen hat für das französische Wort Sentiment. Das Wort Gefühl erscheint uns völlig normal und ist ein integraler Bestandteil unserer Sprache. Er ist so zentral, da er einen Bereich umgrenzt, der für unsere Motivation zuständig ist, dass wir uns gar nicht vorstellen können hierfür ein Fremdwort zu verwenden. Doch ist Faulheit oder Dringlichkeit der einzige Grund nach etwas Fremden zu greifen? Es ist anzunehmen, dass eine Mischung aus Exotik und Bekanntem eine große Rolle spielt. „Bist du beschränkt, daß neues Wort dich stört? Willst du nur hören, was du schon gehört? (2. Faust)“ [Zitat S. 115] Allem voran in der Jugendsprache herrscht die größte Sprachbewegung. Sprache ist Zugehörigkeit und Ausgrenzung zugleich. Um sich abzugrenzen und gleichzeitig zugehörig zueinander zu fühlen, entwickeln Heranwachsende eine eigene Sprache. Mit eigenen Floskeln und Wörtern, die im Allgemeinen zwei Quellen kennen. Die, der eigenen Phantasie und die der Fremdsprachen, mit der sie bspw. im Unterricht in Kontakt geraten. Im englischen Sprachraum wird die Wortneuschöpfung wie eine olympische Disziplin betrieben (zumindest entsteht durch das Internet der Eindruck). Beispiel hierfür sei halfaloque, was eine Zusammensetzung aus half und dialogue ist. Das Wort beschreibt den Teil eines Telefongespräches, den man als zufälliger Zuhörer mitbekommt. Der Jugend sei hier die Verantwortung anvertraut auch in Zukunft so vorzügliche Wörter wie merkeln zu erfinden um unsere Sprache wettbewerbstauglich und lebendig zu halten. Merkeln bedeutet in wichtigen Anliegen untätig bleiben und keine eindeutigen Angaben zu machen.

Fazit

Doch was zieht man nun aus Alledem? Klar ist, dass Engel gute Punkte angesprochen hat, allem voran die Verständlichkeit. Im gleichen Atemzug stellt er sich aber ein Bein, indem er der Klarheit einen Riegel vorschiebt, solange sie sich nicht ausschließlich der eigenen Sprache bedient. Auf der anderen Seite ist meine Unterscheidung von Fach- und Fremdwörtern vielleicht nicht lückenlos. Doch, was sowohl Engel, als auch ich versuchen ist zu sensibilisieren. Um ein potenter Sprecher seiner Sprache zu sein muss man ein gutes Sprachbewusstsein ausgebildet haben. Ich spreche mich dafür aus, dass zu einem guten Leben (Eudämonie) auch ein Bewusstsein für die Heimatzunge dazugehört. Die Sprache ist ein integraler Bestandteil des Bewusstseins und somit der Wirklichkeit bzw. der geschaffenen Realität. Wenn man sich nicht bewusst mit der eigenen Sprache auseinandersetzt, dann gibt man Kontrolle ab. Ich spreche nicht selten mit Jugendlichen, die ihrer eigenen Sprache nicht mehr Herr oder Dame sind. Wenn ich sie auffordere doch mal Deutsch oder Englisch zu reden, dann werfen sie die Flinte ins Korn und sagen, dass sie dazu nicht in der Lage sind. Abschließend eine Anekdote. Ich habe mal einen Russen getroffen, der einwandfrei Deutsch sprechen konnte. Er berichtete mir, dass Deutsch ein super Werkzeug wäre um zu philosophieren. Wenn er in seinem Heimatland auf Russisch mit seinen Freunden philosophierte, dann brauchten sie unglaublich lange um einen Punkt klarzumachen. Im Deutschen ging das alles viel einfacher und war mit einem Satz erledigt.

Quellen

Engel, Eduard (1911): Deutsche Stilkunst. 30. Auflage Wien, Leipzig. https://www.youtube.com/watch?v=488ZBeaGo6s aufgerufen am 17.08.2018 https://de.wiktionary.org/wiki/merkeln aufgerufen am 17.08.2018

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